Bristol: "Not a design-led urban renaissance"

Das südwestlich gelegene Bristol ist eine weitere Stadt, die ursprünglich gar nicht auf der Reiseliste stand, bei der sich aber herausgestellt hat, dass sie dringend darauf gehört. Denn während Liverpool der Hotspot der Sozialunternehmen ist, ist die mit rund 600.000-Einwohnern sechstgrößte Stadt Englands in den Augen vieler Bewohner*innen die Hauptstadt der Kooperativen und der Independent-Businesses. Die Werbestrategen der Stadt nutzen dies für die Außendarstellung und bedienen das Superlativ, sprechen von der Gloucester Road als ein "must-go", "the longest stretches of independent shops in the UK" und "one of the most bohemian and authentic areas of the city, with a range of colourful murals, art banners and live music throughout the week". Bristol ist darüber hinaus die Heimatstadt des/der britischen Street-Art-Künstler*in Banksy, das gilt als sicher. Dementsprechend finden sich dutzende von Banksys frühen Werken überall in der Stadt verstreut, bzw. haben Einzug in die dortigen Museen gehalten - auch hier wird also Subkultur seitens der Stadt offensiv vermarktet. 

 

Als Vorbereitung auf Bristol habe ich einen Text von Henry Shaftoe und Andrew Tallon gelesen: "Bristol. Not a design-led urban renaissance". Und bei der Ankunft im Halbdunklen direkt verstanden, worauf sich die Überschrift bezieht. Abgesehen von den neuen Quartieren rund um den Hafen hat Bristols Innenstadt wenig spektakuläre Architektur zu bieten - was je nach Perspektive auch durchaus positiv bewertet kann, denn hier ragen im Gegensatz zu allen anderen besuchten Orten keine gläsernen Investoren-Träume in den Himmel, wie auch Shaftoe und Talion anmerken: "Considering it´s size, Bristol has relatively few tall buildings, either commercial or residential. (...) The tall buildings that exist were mostly constructed in the 1960s and 1970s and are generally of mediocre quality." Weiterhin nehmen auch die beiden Autoren Bezug auf die auffallend große Zahl an Indie-Shops: "Turning to the inner-city, one of the most noticeable feature is the number of small-scale developments by local entrepreneurs and alternative groups, which contrast sharply with the products of the commercial developers and the volume house bilders in the inner city". 

 

Bristol: ein farbenfrohes Vorbild für soziale Ökonomie - so würde ich meinen Eindruck von der Hafenstadt, die sich aufgrund eines Industrie-Mixes auch in der Krise recht konstant hielt - beschreiben. Hier hält sich seit nunmehr zehn Jahren erfolgreich die Lokalwährung Bristol Pound, die unzähligen kleinen Läden und Handwerksbetriebe scheinen regen Zulauf zu haben und an den Fensterscheiben prangen Sticker mit den Hashtags #buylocal und #buysocial. Kurz vor den im Dezember anstehenden Wahlen übernehmen darüber hinaus viele Inhaber*innen darüber hinaus soziale Verantwortung und laden wohnungslose Menschen explizit ein, vorbeizuschauen, um ihnen bei der Registrierung für die Wahl zu helfen. Keine Design-Renaissance, sondern eben eine spezielle Mentalität, der sich am Besten bei einem Besuch der 'Peoples Republic of Stoke Croft' (PRSC) nachfühlen lässt - einem Kollektiv, dass Shaftoe und Talion als "inspiring alternative approach" beschreiben, "which would on its existing Assets and diversity, rather than the usual clean swap of clearance and redevelopment favoured by commercial developers". Die Gründung des Kollektivs ist als die Reaktion auf die wenig zielführende städtische Masterpläne im Stadtteil Stokes Croft in den vergangenen Jahrzehnten anzusehen, wie die Autoren ausführen. 

 

Hinter PRSC stehen Künstler*innen und Aktivist*innen, die ihren alternativen Ansatz wiederum so beschreiben: "The People’s Republic of Stokes Croft is a community enterprise that holds the philosophy of a new economy close at heart. PRSC leads by example, showing through direct action that change is possible. We resolutely reject the notion that there is no alternative and build on ways of making our own future. (...) In order to keep our direction, we need to question everything, dream big and express those visions. Only when ideas and visions are voiced, we can start working towards them." PRSC steht hinter vielen der großflächigen Murals, die die Stadt heute so offensiv als attraktiv vermarktet. Eines davon fällt besonders ins Auge, denn es ruft zu einem Boykott gegen die Supermarkt-Kette Tesco auf - als diese vor acht Jahren eine Filiale im Stadtteil eröffnen wollten, kam es zu groß angelegten Protesten aus Sorge um die kleinen, unabhängigen Märkte im Stadtteil.

Besonders interessant für mich waren die Methoden zur Finanzierung der Arbeit, die Sue im PRSC-Laden ausgiebig erläutert hat, an dieser Stelle aber den Rahmen sprengen würden. Mit auf den Weg gegeben hat sie mir noch "The Bristol Cable", eine Lokalzeitung nach einem Genossenschaftsmodell, dass dem der deutschen taz ähnelt, 2011 von drei Journalistik-Studenten der örtlichen Uni gegründet wurde und heute von 2000 Bristol*innen getragen wird. Viel Input in wenigen Tagen - Bristol war die eher mühsame Anreise definitiv wert (wer die Privatisierung von Infrastruktur gut heißt, dem sei hiermit eine England-Rundreise per Bahn wärmstes ans Herz gelegt)!