'Studentification': ein zunehmendes Problem

Am Department of Urban Studies and Planning der University of Sheffield hatte ich  einen Termin, um mit Co-Direkter Dr. Glyn Williams über PhD-Möglichkeiten und potenzielle Themen zu sprechen. Vor dem Hintergrund des unendlichen Brexit-Dilemmas ein schwieriges Unterfangen, da neben der Wirtschaft natürlich auch die Hochschulen in eine ungewisse Zukunft schauen und eine Promotion in Großbritannien somit ein schwer albwägbares Kostenrisiko ist. Welche Gebühren auf ausländische Studierende zukommen und ob sie sich beispielsweise weiterhin auf EU-Stipendien hoffen können, ist weiterhin völlig offen. 

 

Nach der Erläuterung des Rahmens und der Schwerpunkte des Instituts blieb noch genügend Zeit, über die Entwicklung Sheffields zu sprechen, wobei Glyn Literaturhinweise mit auf den Weg gab und einen Term erläuterte, der mir bisher neu war, aber in England derzeit zu den meistdiskutierten Themen in der Stadtentwicklung zählt: Studentification. Der Begriff wurde bereits im Jahr 2002 von Darren Smith geprägt für die negativen sozialen und räumlichen Auswirkungen von wachsenden Zahlen an Studierenden in britischen Stadtquartieren: Wohnhäuser weichen möblierten Kurzzeit-Unterkünften, Schnellrestaurants, Cafés und Pubs prägen das Straßenbild, nächtlicher Partylärm, Vermüllung und Vandalismus nehmen zu, gesprochen wird sogar von innerstädtischen Studierenden-Ghettos. In Liverpool hatte ich dazu kurz eine kurze TV-Sequenz gesehen, in der alteingesessne  Anwohner*innen und Eltern Flyer verteilen, um Studierende auf das Bedürfnis nach Nachtruhe für sich und ihre Kleinkinder hinzuweisen und mit "dann zieht doch woanders hin, wenn wir euch zu laut sind" abgeschmettert werden - Studentification als eigentümliche Sonderform der Gentrication. 

 

Entstanden ist das Problem, weil sich die Studierendenzahlen in Großbritannien seit den frühen 90er-Jahren verdoppelt haben, wobei hauptsächlich Bewerber*innen aus dem Ausland für die hohen Zuwachsraten sorgen. Da diese hohe Gebühren zahlen, sind sie seitens der Universitäten gerne gesehen, wobei im Gegenzug gerade die chinesische Mittelklasse die englische Ausbildung schätzt. Immobilienfirmen investieren dementsprechend in ihr Portfolio und siedeln Studierende bevorzugt in Campusnähe an. 

 

In den ersten Tagen in Sheffield stand  für mich die Orientierung und der Besuch der vielen Galerien und Kulturangebote im Vordergrund - natürlich einer der vielen Vorteile, die eine hohe Zahl an Studierenden mit sich bringt - nach und nach fällt dann aber auf, dass die Innenstadt mit ihren umliegenden Wohnquartieren beinahe ausschließlich auf die Bedürfnisse junger Menschen ausgerichtet ist. Gleich zwei Universitäten sind (gezielt) in der Stadtmitte Sheffields angesiedelt, zusammen bringen sie rund 60.000 Studierende in die Stadt. Wohnheime, bzw. Werbung für Studi-Apartments der luxuriösen Art (für entsprechend zahlungskräftige Studierende aus dem Ausland) an jeder Ecke, die Bars überschlagen sich mit Cocktail-Sonderangeboten und Vintage- und Second Hands-Stores schießen hier aus dem Boden, wohingegen mir noch keine KiTa oder Schule aufgefallen ist. 

 

Glyn wirft eine Frage auf, die auch im Essay von Booth schon anklingt: "Wie stabil ist sind Communities und regenerierte Innenstädte, die größtenteils aus Studierenden bestehen? Wir müssen uns fragen, wie sich das Zentrum weiterentwickelt." Vor dem Hintergrund der andauernden und immer wieder aufkommenden Debatten um die Zahl der Hochschulen im Ruhrgebiet finde ich interessant, hier zu beobachten, was passiert, wenn eine Industriestadt mit ihren Arbeiterquartieren vom Uni-Leben nahezu "überschwemmt" wird.