Buchempfehlung: Komplement und Verstärker

Das schöne Wetter Mitte des Monats in Cornwall und das weniger gute in den vergangenen Tagen in Sheffield wurde genutzt, um eines der Bücher zu lesen, die mit ins Reisegepäck gewandert sind: Komplement und Verstärker. Zum Verhältnis von Stadtplanung, künstlerischen Praktiken und Kulturinstitutionen (Hrsg. Isabel Maria Finkenwerder, Eva-Maria Baumeister, Christian Koch). Zahlreiche Autor*innen befassen sich darin kurzen Essays oder Interviewformaten mit Positionen aus dem Spannungsfeld zwischen Institutionen der räumlichen Planung, (freier) Kunstszene und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen im städtischen Gefüge.

 

Das Buch über Wochen als Zusatzgewicht herumzutragen hat sich vollends gelohnt. Alle Essays ist pointiert, aufschlussreich und macht auf Experimente wie Die Stadt von Morgen in Köln aufmerksam, in dem das Schauspiel Köln in den problembehafteten Stadtteil Mülheim zog und sich in den Spielzeiten 2015 - 2017 in den öffentlichen Raum hineinbegab. Oder einen Ämtertausch in Wuppertal, wo die Leiter der Oper und des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt und Energie Anfang des Jahres für drei Wochen ihre Arbeitsplätze getauscht haben, um ihre internen Strukturen zu reflektieren und neue Kooperationsformen auszuloten. 

Hängen geblieben ist insbesondere die Kritik des Architekten Kay von Keitz, der die gegenläufigen Positionen zu Kunst im Rahmen der Stadtgestaltung und -vermarktung aufgreift, genauso wie Stephan Willingers Überlegung zu Selbstorganisation und Emergenz in der Stadtentwicklung - eine Forderung nach neuen institutionellen Haltungen vor dem Hintergrund der obsolet gewordenen Top-Down-Planung. 

 

Ein schöner Zufall: Beim Lesen von Hanna Hinrichs 'Dritte Orte. Eine Chance für interdisziplinäre Projekte', in dem sie das Konzept des amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg aufgreift, saß ich grade unbeabsichtigt in einem solchen. Dritte Orte  zeichnen sich unter andere durch Multifunktionalität aus und dienen als kommunikative Treffpunkte. Hanna Hinrichs adaptiert das Konzept unter anderem in Bezug auf Stadtbibliotheken, in Sheffield haben sich Museen und Sehenswürdigkeiten auf diese Weise geöffnet. Denn im Foyer der Millenium Gallery genauso wie in einem unmittelbar angrenzenden Winter Garten wird auf Bänken gequatscht, gegessen und sich ausgeruht. Da bei beiden Institutionen der Eintritt frei ist, ist hier ein überdachter und grüner Treffpunkt ohne Konsumzwang nur wenige Fußminuten vom Hauptbahnhof entfernt entstanden. Zwar befinden sich sowohl in der Kunstgalerie als auch im Winter Garten auch Cafés, aber niemand stört sich daran, wenn die Besucher*innen mit mitgebrachten Brotboxen dort aufhalten oder durch den Museumsshop und den Eingängen zu den Ausstellungsräumen vorbei laufen.  Fazit: Schöne Atmosphären, gutes Buch!