Sheffield: Was wohl Orwell heute denken würde?

Nächster Halt: Sheffield. Seit dem frühen Sonntag bin ich hier und dem ersten Eindruck nach mehr als fasziniert von der Stadt, die George Orwell in den 1930er-Jahren als hässlichsten Ort der Welt bezeichnet hat: "Sheffield, I suppose, could justly claim to be called the ugliest town in the Old World: its inhabitants, who want it to be pre-eminent in everything, very likely do make that claim for it. It has a population of half a million and it contains fewer decent buildings than the average East Anglian village of five hundred."

 

Während ich Manchester und Liverpool schon zuvor in groben Zügen kannte und in Milton Keynes dank des Festivals of Creative Urban Living ein recht festgestecktes  Programm hatte, orientiere ich mich in Sheffield anhand von Literatur: verschiedenen Guardian-Artikeln, die die rund 1,5 Zugstunden entfernte Stahlstadt mit rund 570.000 Einwohnern in South Yorkshire als "most underrated city destination in the UK" bezeichnen, dem Sheffield-Kapitel im hier schon häufiger zitierten "Guide to the new ruins of Great Britain" von Owen Hatherley und einem Essay von Philip Booth (Department of Town and Regional Planning, Uni Sheffield) mit dem schönen Titel: "Sheffield - a miserable disappointment no more?". 

 

Um letzteren grob zusammenzufassen: Sheffield existierte bereits im Mittelalter, wuchs erst zur Stadt an, als der rostbeständige Stahl hier erfunden und produziert wurde, im Don Valley, dem industriellen Herzen der Stadt. Der Abriss zur Stadtentwicklung liest sich fast identisch wie zb. der von Gelsenkirchen: planlos, ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Industriellen, die ihre Arbeiter nah an den Fabriken angesiedelt wissen wollten. Ab den 1970er und 80er-Jahren rutschte die Stadt mit der Stahlkrise dementsprechend nicht nur sozial sondern auch stadtbildprägend ab. 

 

Booth: "The very idea that Sheffield might be characterised by the quality of its urban design would, until very recent times, have seemed risible: the achievements of the past decade in these terms looks remarkable." Booth führt als wichtigsten Punkte für die heutige Attraktivität der Stadt den Bau der "Supertram" auf, also einem Straßenbahnnetz, das zwischen 1994 und 1995 eröffnet wurde. Interessant: mit Planung und Bau einher ging die gezielte Aufwertung des öffentlichen Raumes entlang der Knotenpunkte: "Supertram was used to generate a series of linked public spaces in the city center (...) More generally, mucch thought was given to the design detailing of the tram stops and public art was commissioned for the major spaces that were remodelled as part of the process." 

 

Booth spricht im Folgenden von einem innovativen Ansatz zur Wiederbelebung des City-Centers, "to both mangement and policy-making". Die Regeneration der Innenstadt habe Priorität gehabt, flankiert von vier Prinzipien bei der Erstellung eines Masterplans: Sheffield als Einzelhandelszentrum etablieren; High-Tech-Industrie anziehen; ein attraktives Angebot und einen Markt für Büroräumen schaffen ("something that had been conspicuously absent"); attraktive öffentliche Räume schaffen und hier investieren als essenzielle Basis für die ökonomische Regeneration. 

 

Selbstverständlich haben sowohl Booth als auch Hatherley hierzu Kritikpunkte - ich freue mich darauf, eine ganze Liste von Orten abzuarbeiten, um mir einen eigenen Eindruck zu machen und schwenke selbstverständlich zwischendurch auch zum Fußball ab. Denn in Sheffield ist der Fußball geboren und die zwei Clubs werfen mitunter unrühmliche Schatten auf die Stadt - eines der ersten Themen, die meine Vermieter angeschnitten haben, war ihre Sorge vor dem kommenden Samstag, an dem sich die Stadt wegen des Aufeinandertreffens von Sheffield Wednesday und Leeds in einem Ausnahmezustand befindet, der den des zeitgleich stattfindenden Revierderbys noch übertreffen dürfte. 

 

Literatur: 

Booth, Philip (2009): Sheffield. A miserable disappointment no more? In: Punter, John (Hg) : Urban Design and the British Urban Renaissance. Routledge, London