FCUM: Ein sozialräumliches Experiment

Fußballvereine leisten Sozialarbeit und benötigen von kommunaler Seite daher eine bestmögliche Unterstützung und Ausstattung - so weit die These. Die Stadt Manchester hat dieses Potenzial erkannt und mit dem  FC United of Manchester als basisdemokratisches Fußballexperiment zusammengearbeitet. Im Broadhurst-Park wird seit dem Jahr 2015  "Punk Football" gespielt. Mit klarer sozialer und politischer Positionierung, wie auch im Süden der Stadt. Und auch sonst scheint Die Stadt einiges richtig gemacht zu haben:  

 

Manchester ist mit circa 550.000 Einwohnern die größte Stadt im Norden Englands und Teil von Greater Manchester, dem zweitgrößten Aglomerationsraum des Landes mit rund 2,7 Millionen Einwohnern. Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert galt die Stadt als weltweit führendes bedeutendes Zentrum der Baumwoll- und Textilindustrie. Im Zuge der Deindustrialisierung rutschte Manchester ab dem späten 19. Jahrhundert in eine strukturelle und soziale Krise. Die Sozialwissenschaftlerin Antje Seidel-Schulze spricht in Bezug auf das 20. Jahrhundert neben sich halbierenden Beschäftigungszahlen von einem „Identitätsverlust“ der Bewohner, „sozialräumlicher Polarisierung“ und einem „desolaten Zustand der Innenstadt“.

 

In der Folge habe eine „Kultur des Wandels“ eingesetzt, die mit der Entstehung neuer Arbeitsplätze in den Bereichen Informatik, Sport und Kultur einherging. Flankiert wurde diese durch den Ausbau der Universitäten sowie Kooperationen zwischen Wirtschaftsförderung, Universität und Unternehmen vor Ort, mit dem Ziel, Absolventen langfristig an Manchester zu binden. Im Jahr 2003 wurde Manchester von der Europäischen Union ausgezeichnet für den besten Strukturwandel einer europäischen Stadt. Mit Manchester City und Manchester United spielen derzeit zwei städtische Vereine in der Premier League als höchster englischer Spielklasse.

 

Im Norden von Manchester wurde im Jahr 2015 mit dem Broadhurst Park ein von Fußballfans mitfinanziertes Stadion eröffnet, dessen im Folgenden skizzierte Entstehungsgeschichte exemplarisch aufzeigt, wie eine Zusammenarbeit von städtischen Verantwortlichen und Fußballvereinen so ausgestaltet werden kann, dass die lokale Gemeinschaft profitiert: Als Protest-Reaktion auf die zunehmende Kommerzialisierung des englischen Fußballs und die Übernahme von Manchester United durch die US-amerikanische Unternehmer-Familie Glazer spaltete sich im Jahr 2005 eine Gruppe von Manchester United-Fans ab mit der Idee, einen nicht-kommerziellen, gemeinschaftsorientierten Fußballverein zu gründen. Adam Brown hat die Gründungsgeschichte des Vereins und die Fan-Gemeinschaft des neu gegründeten FC United of Manchester (FCUM) untersucht und unterstreicht die „fußball-politische Position“ und die „kultur-politische Position“ der Anhänger als zentrale Elemente der Club-Gründung.

 

Er führt aus: "This cultural-political position of United fans ran alongside and was underpinned by a resurgence of expressions of a local Mancunian identity among the club ́s more vocal fans. This sought to contest popular characterizations of Manchester United supporters as ‘glory hunters’, southern, ‘plastic’ and lacking in authenticity as fans by affirming their origins in (working-class) Manchester." 

 

Daraus lässt sich ableiten, dass neben den beiden bereits aufgeführten Positionen auch lokale Identifikationsprozesse als ausschlaggebend für die Vereinsgründung anzusehen sind. Registriert wurde der FC United of Manchester als „Industrial and Provident Society“, einem genossenschaftlichen Modell nach britischem Recht. Die Mitglieder gestalten das Vereinsleben dabei nach demokratischen Prinzipien, so hat jedes Mitglied eine Stimme, um sowohl vereinsinterne Regeln zu bestimmen als auch über Namen, Design von Shirts und Trikots, Preisen, etc. mitzuentscheiden (ebd.). In der Satzung des Vereins, dem „Manifesto“, spiegelt sich zudem der räumliche und soziale Ansatz der Fußballfans wider: „Above all we want to be seen as a good example of how a club can be run in the interests of its members and be of benefit to its local communities“. Der lokale und gemeinschaftsorientierte Ansatz des Vereins wird von den Anhängern nicht zuletzt auch über entsprechende Symbolik auf Bannern und Fahnen transportiert.

 

Spielte der Verein in den Anfangsjahren noch verteilt über das Stadtgebiet in wechselnden Stadien, so kristallisierte sich schnell heraus, dass mit wachsendem Zuschauerzuspruch aus organisatorischen und finanziellen Gründen ein vereinseigener Spielort benötigt wird, wie die Politikwissenschaftlerin Annabel Kiernan ausführt. Dieser wurde in Zusammenarbeit mit dem Manchester City Council (MCC) im nordöstlichen Stadtteil Moston gefunden, der sich charakterisieren lässt als Raum sozialer und ökonomischer Veränderungsprozesse, „a community hollowed out by down at heel commercial outlets, most typically take away and fast food establishments."

 

Die Stadt Manchester habe frühzeitig die Besonderheiten des Fußballclubs und die daraus resultierenden Potenziale zur Entwicklung des strukturell benachteiligten Stadtteils erkannt, so Kiernan. Auf dem von beiden Parteien favorisierten Standort (Ronnie Johnson Playing Fields, RJ) befand sich bereits ein Sportplatz, der von den Anwohnern zwar häufig genutzt wurde, aber sich baulich trotz erheblichen monetären Aufwands seitens des City Council noch immer in einem schlechten Zustand befand. Kiernan erläutert: "The City Council reasoned that the scope of possibility on the site was bigger than the existing budget, and the lack of development at RJ despite the investment already made wedded to the need to find a new site for FC United meant the Council and FC United had a shared interest in developing on the RJ site."

 

Ein vergleichsweise kleiner Teil der Bevölkerung Mostons habe dem Vorhaben anfänglich kritisch gegenübergestanden, da man mannigfaltige Probleme an Spieltagen wie Lärm, Verschmutzung der Straßen, fallende Immobilienpreise rund um die Sportstätte und ein stark erhöhtes Verkehrsaufkommen durch den geplanten Stadionbau für 5000 Zuschauer befürchtet habe. So sprachen sich in einer Petition 2500 der rund 13.000 Bewohnern des Stadtteils gegen die Pläne aus, von denen sich rund 100 Personen zusätzlich zum Unterschreiben der Petition schriftlich gegenüber dem City Council positionierten. Den Bedenken der Anwohner wurde unter anderem mit Anpassungen in Details der Planung entgegengekommen. Als entscheidend für die Umsetzung stellte sich letztlich die Einbeziehung des örtlichen Vereins Moston Juniors FC, der den RJ-Platz bisher genutzt hatte, als drittem strategischen Partner heraus: „This three-way-partnership was probably the most significant element of the planning and a crucial community foothold for FC United."

 

Das neue Stadion mit dem Namen „Broadhurst Park“ im Stadtteil Moston hat rund 6,3 Millionen britische Pfund gekostet und konnte über eine Kombination an Mitteln des Manchester City Councils, Sport England (verwaltet unter anderem Mittel der nationalen Lotterie), einer Fußballstiftung und erheblichen Anteilen der Fan-Szene im Jahr 2015 realisiert werden.  So beteiligten sich die Anhänger des Vereins über „community shares“* mit insgesamt 2 Millionen Pfund am Bau des Stadions. Nach Angaben des Vereins haben zum Erreichen dieser Summe insgesamt 1522 Privat-Personen durchschnittlich 500 Pfund in community shares für den Bau des Stadions investiert und erhalten hierfür Stimmrechte bei der Entwicklung des Vereins. Das ursprüngliche Ziel von 75.000 Pfund sei damit deutlich übertroffen worden.

 

Das Stadion fungiert als offener „community hub“, Flüchtlings-Organisationen und ansässige Schulen zählen zu den regelmäßigen Nutzern der Anlage mit angegliederten Kunstrasenplätzen, Medizin- und Gemeinschaftsräumen.  Darüber hinaus bringt sich der Verein stadtteilübergreifend in die Gemeinschaft ein, etwa durch das Organisieren von Bus-Shuttles für Obdachlose, die im Jahr 2016 an Heiligabend aus dem Stadtzentrum zum Stadion gebracht wurden. Dort erhielten sie durch Freiwillige des Vereins unter anderem eine warme Mahlzeit und die Gelegenheit zum Nutzen der sanitären Anlagen.

 

Unter Einbezug der Gründungsgeschichte des FCUM, des Verlaufs der strategischen Partner- schaft zwischen Stadt und Stakeholdern und dem Hinweis, dass während des Planungspro- zesses ein Passus verschriftlicht wurde, nach dem das Stadion seitens des Vereins nicht aus Profitgründen verkauft werden darf, spricht Kiernan von „einem neuen Modell für den englischen Fußball“: „The ground will be of a shared ownership between co-owners of the footballclub and the local community“.

 

Somit lässt sich festhalten, dass die Zusammenarbeit zwischen Stadt und dem aktuell siebtklassigen Fußballverein in Manchester positive Signale setzt. Der Erfolg des neuen Vereinsgeländes in Relation zur Gesamtsituation des strukturell benachteiligten Arbeiterquartiers wird sich erst in einigen Jahren objektiv und faktisch bemessen lassen. Jedoch erscheint es bereits heute möglich, von ersten, positiven Effekten zu sprechen. Diese liegen in der Sicherung des Spielbetriebs des ortsansässigen Vereins Moston Juniors FC, entstandenen Partnerschaften zu Schulen und Organisationen in Moston sowie des Einsatzes des Clubs und seiner Anhänger für benachteiligte Bevölkerungsgruppen wie Obdachlose.

 

Dass sich mehr als 1500 Privatpersonen an der Finanzierung des Stadions beteiligt haben, unterstreicht die lokale Akzeptanz und Verankerung des Vereins. Der gesamte Prozess fußt dabei klar auf Identifikations- und Identitätsprozesse der Fußballanhänger mit „ihrer“ Stadt und „ihrem“ Sport, ausgelöst als Gegenbewegung zur fortschreitenden Kommerzialisierung des Profi-Fußballs. 

(Textauszug Masterarbeit, Stand September 2018). 

 

*Bei „community shares“ handelt es sich um ein Modell nach britischem Recht, mit dem inländische Kooperativen und gemeinwohlorientierte Initiativen Kapital von Privatpersonen sammeln können. Käufer von community shares erhalten im Gegenzug Steuererleichterungen und Kapitalbeteiligungen, bzw. Stimmrechte oder Vergünstigungen beim Einkauf. Im Vordergrund der Investition in community shares soll dabei der soziale, nicht der monetäre Gedanke stehen. Community shares erfreuen sich in Großbritannien großer Beliebtheit, so seien allein zwischen 2009 und 2014 60 Millionen Pfund in community shares angelegt worden, hauptsächlich, um Unternehmen im Bereich der regenerativen Energien zu fördern, lokale Shops, Pubs oder Sportvereine zu unterstützen.

 

Literatur: 

 

BROWN, Adam (2008): ‘Our club, our rules’. Fan communities at FC United of Manchester. In:Soccer & Society 9 (3), S. 346–358. DOI: 10.1080/14660970802008967.

BROWN, Adam (2010): ‘Come home’: The Stadium, Locality and Community at FC United of Manchester. In: Sybille Frank und Silke Steets (Hg.): Stadium worlds. Football, space and the built environment. New York: Routledge (The architext series), S. 163–178.

KIERNAN, Annabel (2015): Exit, voice and loyalty. The dislocation of football fan communities. In: Soccer & Society 18 (7), S. 880–895. DOI: 10.1080/14660970.2015.1067795.