Diskussion um Radikal-Lösung gegen Leerstand

Trostlose Innenstädte und Stadtteilzentren, in denen sich ein Leerstand an den anderen reiht, unterbrochen nur von Märkten im Billig-Segment: Sowohl im Ruhrgebiet als auch in Nord- und Mittelengland ein großes Problem. Seit Mitte August wird über einen durchaus interessanten Lösungsansatz diskutiert, den Jeremy Corbyn als Labour-Vorsitzender eingebracht hat: Corbyn möchte High-Streets wiederbeleben, indem leere Ladenlokale in Gemeinschaftszentren, Proberäume und -bühnen verwandelt oder mietfrei an Start-Ups und kleinere Unternehmen vergeben werden.  Seine Partei möchte den lokalen Verwaltungen die notwendigen Befugnisse und die Verantwortung zur Verwaltung  übertragen und hierzu “empty dwelling management orders” anwenden, nach denen Verwaltungen in England und Wales ungenutzte Gebäude und Grundstücke kontrollieren dürfen. Gefördert werden solle so auch der "community spirit". 

 

Corbyn spricht dabei von einer Einzelhandels-Apokalypse und beruft sich auf aktuelle Zahlen, nach denen 10% der Läden in britischen Innenstädten leer stehen, überwiegend über mehrere Jahre. Das konservative Lager derweil malt wenig überraschend Szenarien von verschreckten Investoren an die Wand und beruft sich darauf, den High Streets nach dem Brexit am 31. Oktober wieder Leben einzuhauchen - wie, bleibt offen. 

 

Für den Norden Liverpools lässt sich derweil nicht nur von 10% Leerstand sprechen, vielmehr müsste die Zahl auf 40-50% Prozent korrigiert werden, rein nach Gefühl. Die Hauptstraßen von Everton, Kirkdale, Walton und Anfield wirken, als seien die Stadtteile ausgestorben, dabei sind sie durchaus dicht besiedelt. Die Gründe hierfür sind vielschichtig - und an keinem dürfte die EU Schuld haben: Anwohner*innen erzählen, dass der Abschwung des Einzelhandels 2008 mit der Eröffnung des Einkaufszentrums Liverpool One in der Innenstadt begann. Zugleich sank die Einwohner*innenzahl der Gebiete temporär mit dem Abriss von 1800 Häusern im Rahmen des Housing Market Renewal Programm. In der Folge entschieden sich mehr und mehr Läden-Inhaber*innen in den Quartieren rund um die Stadien von Everton und Liverpooler FC, nur noch an Spieltagen zu öffnen, wenn tausende Fans durch die Straßen ziehen. Daher müssen auf die oben angeführten 40-50% Leerstand noch einmal grob 25% geschlossenen Einheiten gerechnet werden, die nur wenige Tage pro Monat geöffnet haben. An Spieltagen gehen dutzende Jalousien mehr hoch als gewöhnlich.

 

Aus dem Umfeld von Gewerbetreibenden heißt es außerdem, die Besitzer*innen zahlreicher leerstehender Einheiten hätten keinerlei Interesse an einer Vermietung. Das Kollektiv um Kitty´s Launderette beispielsweise hätte gerne einen Standort direkt an der am Stadion des Liverpooler FC vorbeilaufenden Hauptstraße bezogen, fand aber kein Lokal und musste ein eine Seitenstraße ausweichen. Obwohl dort fast jede Einheit leer steht. Es heißt, dass asiatische Investoren hier Häuser im Dutzend aufkaufen, vermutlich, um auf Wertsteigerungen rund um die Anfield Road Adresse mit hohem Bekanntheitsgrad zu hoffen. Wie es zu dieser kommen soll, wenn das Straßenbild weiter verwahrlost, bleibt nach kapitalistischer Logik unbeantwortet und ähnelt der Diskussion um innerstädtischen Leerstand in Deutschland, der den Vermieter*innen Steuervorteile verschafft und daher günstiger und bequemer als eine Vermietung ist.

 

Vidhya Alakeson, Geschäftsführerin der Stiftung Power to Change, hat bereits im Mai diesen Jahres im Guardian dargelegt, das High Streets im 21. Jahrhundert nur über Community-Projekte nachhaltig gerettet werden können - denn der Trend zum Online-Shopping sei unumkehrbar. Ihr empfehlenswerter Text bringt viele Dinge auf den Punkt: "It’s about the loss of meaning, of pride, of belonging. We all instinctively want to connect with the places where we live. Parades of empty shops drain our towns of identity." Und: "When communities are given a bit of space, they create fantastic enterprises that respond directly to their own needs. That’s what we need to do everywhere, not just in the most deprived neighbourhoods. We need to give people space to rebuild their high streets themselves."

 

Insofern mag der von Corbyn vorgebrachte Ansatz "radikal" erscheinen, zeigt aber immerhin eine dringend notwendige gemeinwohlorientierte Lösung auf, die das Erscheinungsbild von Stadtteilzentren erheblich aufwerten, zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen und Kreative und Jungunternehmer*innen anziehen könnte.