Die letzten Tage stehen an - im wunderschönen Brighton, um einen letzten Blick auf das Meer zu erhaschen, bevor es per Zug durch Eurotunnel geht. Eine gute Gelegenheit also, Fotos und Notizen zu durchforsten und zu vergleichen. Liverpool, Manchester und Sheffield sind die Städte, in denen ich jeweils mehrere Wochen verbracht habe. Drei Industriestädte mit ähnlichen Ausgangslagen und spezifischer Genese, die eine große Gemeinsamkeit teilen: die Transformation eines Industrieareals in ein hippes Stadtquartier mit gemischter Nutzung.
Wobei sich die örtlichen Herausforderungen wiederum jeweils unterscheiden:
In Liverpool besteht die Gefahr, dass der Charme des Baltic Triangle durch den den fortschreitenden Ausverkauf der Stadt verloren geht.
In Manchester gehen das Northern Quarter und Ancoats nahezu ineinander über. Wo sich früher die Baumwollspinnereien aneinander reihten und Engels sein berühmtes Buch zur Lage der arbeitenden Klasse in England verfasste, ist das ein Ausgeh-Viertel voller Street Art, Indie-Läden und beliebten Bars entstanden, mit beinahe täglichen Konzerten und Live-Musik. Außerdem finden sich hier zahlreiche Bürogebäude und Unternehmen aus der Dienstleistungsbranche. Beim Versuch, die Entwicklung des Northern Quarters nachzuzeichnen und Gründe für den Erfolg zu finden, läuft es immer wieder auf zwei Erklärungen hinaus: eine offene Planungskultur für Manchesters Innenstadt nach der Explosion der IRA-Bombe im Jahr 1996 und Street Art. Denn diese ist im Northern Quarter durchaus als gesteuertes politisches Statement zu verstehen. So wurden 2016 und 2018 im Rahmen des Cities of Hope-Festival Künstler*innen eingeladen, Wandbilder zu sozialen Problemen in Manchester zu gestalten. Die künstlerischen Ideen wurden mit vor Ort ansässigen Organisationen verknüpft und Spenden gesammelt, bei der zweiten Auflage auch Wände im gesamten Stadtraum einbezogen. Im benachbarten Ancoats war Urban Splash an der ähnlichen Entwicklung beteiligt. Da in beiden Vierteln keine Einwohner*innen verdrängt wurden - die Areale lagen größtenteils brach - lässt sich hier auch nicht von Gentrifizierung als Verdrängung einkommensschwacher Gruppen sprechen.
Noch ein Hinweis auf die Biene, die sich in Manchester an vielen Wänden, aber auch als Element der Stadtmöblierung (zb. Mülleimer) wiederfindet: die 'Working Bee' verweist auf die industrielle Vergangenheit, ein wie ich finde schönes Detail.
In Sheffield heißt das urbane Trend-Quartier Kelham Island und liegt am Fluß Don, der in früheren Zeiten die Räder der Stahlproduktion angetrieben hat. Schon 1982 öffnete ein Industriemuseum auf Kelham Island, in den Folgejahrzehnten wurden sukzessive neue Wohneinheiten entwickelt, wobei sich in vielen Straßen noch die industrielle Vergangenheit durch bewusst erhaltende Eingangsportale zu Farbriken, etc. ablesen lässt. Die Entwicklung von Kelham Island ist längst noch nicht abgeschlossen - im Oktober lief eine Reihe von Beteiligungsveranstaltungen (in wechselnden Pubs und bei entsprechend ungezwungener Atmosphäre), bei denen sich heraushören ließ, dass die Sheffield*innen grundsätzlich zufrieden sind mit ihrem neuen Stadtquartier, das in einigen Punkten aber nachjustiert werden müsse - Parkplätze, das Vorhalten von genügend Flächen für Produktion und kleine Gewerbeeinheiten, die durch immer neue gastronomische Angebote unter Druck geraten, etc.