Park Hill: Einzigartig in Europa

Während in der Innenstadt Sheffields zahlreiche ikonische, brutalistische Bauten verschwunden sind und damit viele Klagen über den Gesichtsverlust der Stadt einhergehen, ragt auf einer Anhöhe über dem Zentrum ein Gebäudekomplex aus vier Riegeln hervor, der umgebaut statt abgerissen wurde und wird: Park Hill, Europas größte denkmalgeschützten Wohngebäude. Zur Hälfte bereits renoviert, mit voll vermarkteten Eigentumswohnungen, zur anderen Hälfte noch umzäunt, die letzten Bauabschnitte sind in Arbeit. 

 

Erbaut wurde Park Hill ab dem Jahr 1957 als "social housing estate", nachdem die dort zuvor für England typischen Back to Back-Houses mit ihren schmalen Hinterhofgassen abgerissen worden waren - eine Maßnahme, die als Teil des Housing Acts von 1930 zu verstehen. Über diesen wurden Stadtverwaltungen ermächtigt, "slum clearances" einzuleiten und ganze Straßenzüge mit den viktorianischen Häusern abzureißen, die während der industriellen Revolution entstanden waren und sich zu zu Quartieren mit hoher Kriminalitätsrate und sozialen Schwierigkeiten entwickelt hatten. 

 

Das Park Hill der 60er-Jahre wurde charakterisiert durch seine massive Größe mit 985 Apartments, viel rohem Beton und Gebäudeübergängen als Brücken, die als "streets in the sky" bezeichnet wurden. Der Blick über die Stadt atemberaubend, durch die Hanglage des Komplexes - was ihn zur damaligen Zeit  beliebt bei den Bewohner*innen machte. Über die Jahre verfielen die Gebäude zusehends, die angepasst an die Topographie zwischen 8-13 Etagen haben. Die kühle brutalistische Architektur wurde mehr und mehr als "Schandfleck" angesehen und die fehlende soziale Mischung wurde zum Problem. Ein Abriss stand abermals zur Debatte, aber hier entschied man sich seitens der Stadtverwaltung - entgegen des Abriss-Trends in der Innenstadt - zur Instandsetzung, die Siedlung wurde unter Denkmalschutz gestellt.

 

Hinter dem Umbau, verbunden mit farbigen Akzenten, neuer Außenflächen und cleverem Marketing, steckt das britische Unternehmen Urban Splash - ein Name, der während meiner Zeit in Nordengland in wirklich jeder Stadt gefallen ist. Nahezu sämtliche alten Fabrikhallen und Industriequartiere in Liverpool, Sheffield, Manchester und Newcastle wurden und werden unter der Federführung von Urban Splash revitalisiert - das war mir vor dem Aufenthalt hier nicht bewusst und schärft den Blick für Details, bzw. lässt Vergleiche zu, genauso natürlich wie Kritik - denn Urban Splash scheint mittlerweile eine Art Monopol inne zu haben. 

 

Interessant in diesem Kontext ein Interview mit Tom Bloxham, der Urban Splash im Jahr 1993 zusammen mit Jonathan Falkingham gegründet hat. In einer Zeit, in der Nordengland alles andere als einen guten Ruf hatte und Unternehmen sowie Investitionen anzog. Bloxham erzählt davon, wie er in den 80er-Jahren als Student in Manchester ankam, "it was a far cry from the vibrant, buzzing city it is today. (...) There was little nightlife or culture - least of all dense urban population." Für ihre Vision, verfallene Industriegebäude in Nordengland in "great places to live, work and play in" zu verwandeln, seien sie in den Anfangsjahren oft belächelt worden. "It will never work" - der Slogan wurde später zum Titel einer Architektur- Ausstellung zum 25-jährigen Bestehen des Unternehmens und findet sich auch in einem Schaufenster in Park Hill wieder. 

 

Park Hill steht exemplarisch für das Dilemma hinter zahlreichen englischen Regenerationsprojekten: Für sich genommen ein voller Erfolg, ausgezeichnet mit Architekturpreisen, unter sozialen und ethischen Gesichtspunkten fragwürdig: In den renovierten Wohnungen wohnen heute viele Familien und junge Kreative, die angeschlossene KiTa ist gut besucht, in der unteren Ebene haben sich Start-Ups und ein hippes Restaurant angesiedelt. Für die noch im Umbau empfindlichen Gebäude existieren lange Wartelisten. Wo aber leben große Teile der ursprünglichen Bewohner*innen heute, wenn nur noch maximal 200 Wohnungen als sozialer Wohnungsbau ausgezeichnet werden und über 600 Einheiten als Eigentumswohnungen mit für Sheffield überdurchschnittlichen Preisen verkauft wurden? Urban Splash antwortet auf diese Frage erst gar nicht, sondern weicht auf eine Nachfrage per E-Mail gekonnt aus - ich stehe jetzt automatisch auf der Warteliste zur Besichtigung und potenziellem Erwerb einer Wohnung nach Beendigung des nächsten Bauabschnitts, das war Teil der Antwort. Die Stadtverwaltung verweist darauf, dass man die Familien mit Beginn des Umbaus auf Sozialwohnungen in anderen Teilen der Stadt verteilt habe. Der Guardian hat das dahingehende Dilemma in einem sehr schönen Artikel umschrieben und zitiert darin auch aus einem meiner Lieblingsbücher von Owen Hatherley, der von nichts weiterem als einem zweiten "slum clearance" spricht.  Nichtsdestotrotz: Ein Spaziergang über das Gelände beeindruckt und prägt das Bild von Sheffield. Wenn ich nach den drei Wochen, die ich insgesamt in Sheffield verbracht habe, kommen mir als Erstes die Bilder der Gebäuderiegel in den Sinn, die derzeit noch das bizarre Bild von buntem Hochglanz mit direkt daran anschließendem Verfall abgeben.