Stretford Public Hall: kein Zugriff für Investoren

Zurück aus Dnipro und noch unter dem Eindruck des eindrucksvollen historischen Gebäudes, das dort derzeit in ein Zentrum für zeitgenössische Kunst verwandelt wird, war es an der Zeit, die Geschichte eines Gebäudes in Manchester zu erkunden, das wenige Fußminuten von meinem derzeitigen Zuhause im Stadtteil Stretford entfernt liegt und mir schon am ersten Tag ins Auge gefallen ist. Dabei stellte sich heraus: anders als die Fassade suggeriert, handelt es sich hier längst nicht mehr um ein Verwaltungsgebäude, sondern bereits seit dem Jahr 2015 um ein Community-Zentrum, betrieben von einem gemeinnützigen Verein (Friends of Stretford Public Hall). Jo, eine von drei Festangestellten, zuständig für Veranstaltungsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit und die Koordination der Freiwilligenarbeit, nahm sich Zeit für eine Hausführung und meine Fragen zur Genese, Schwierigkeiten und Erfolge. 

 

Jo erzählt, dass sich 2015 eine Gruppe von Eltern aus dem Stadtteil die Entwicklung ins Rollen gebracht hat: Sie wollten sich nicht damit abfinden, dass die Stadt begonnen hatte, nach dem Auszug der öffentlichen Verwaltung einen Käufer*in zu finden für die markante und stadtteilprägende Town Hall, erbaut von Johny Rylands im Jahr 1878. Rylands, Beiname "Baumwoll-König" war Manchesters erster Multi-Millionär, der sein Vermögen den Textil-Fabriken in der Stadt verdankte und im Gegenzug die prächtige und nach ihm benannte Universitäts-Bibliothek errichtete, genauso wie das Gebäude in Stretford, das anfänglich ebenfalls als Bibliothek fungierte und im Laufe der Jahrzehnte auch als Theater genutzt wurde, bevor für die Stadtteilverwaltung einzog.

 

Der Wunsch, das Gebäude vor dem Zugriff externer Investor*innen zu sichern, habe sich schnell herumgesprochen und immer mehr Menschen erreicht, so dass sich schließlich Verantwortliche fanden, die mit der Verwaltung in Verhandlungen traten und parallel versuchten, Zuwendungen zur Instandsetzung zu erhalten. 250.000 Pfund wurden schließlich eingeworben, von denen 100.000 Euro die Stiftung Power to Change beisteuerte, 150.000 Pfund kamen über Community Shares zusammen. Jo erläutert das Konzept des Gebäudes heute, dass letztlich für symbolische 10 Pfund an die Initiative ging: "Wir haben verschieden große Räume, die wir alle nacheinander renoviert haben, bzw. noch umbauen. Da die Verwaltung Wände für Einzelbüros eingezogen hatte, war und ist hier eine ganze Menge zu tun. Grundsätzlich setzen wir auf einen Mix von Kultur und Business, um langfristig finanziell unabhängig von Förderungen zu werden und mehr Geld für die Instandhaltung zu haben."

 

Konkret sieht das so aus: Im Untergeschoss befindet sich ein Co-Working-Raum. Zehn voll ausgestattete Schreibtische können hier von Freiberufler*innen monatsweise angemietet werden, für 140 Pfund plus Steuern. Garantiert werden WLAN, Nutzung der Teeküche und ein freier Zugang von 8-22 Uhr. Am anderen Ende des Gebäudes befindet sich ein Atelier, wo sich Handwerker*innen und Künstler*innen auf Quadratmeterbasis (12 Pfund pro m2) monatsweise einmieten können. Jo: "Die Warteliste ist hier ziemlich  lang." Ein Blick in den Raum offenbart: hier werden Kleider geschneidert, genauso wie Taschen handgefertigt und Porträts gezeichnet - obwohl gerade nur zwei Personen anwesend sind. "Die Mieter*innen hier können auch nachts in das Gebäude, und dann ist hier am meisten los." Im Dachgeschoss hat sich derzeit eine lokale Abgeordneten mit ihrem Büro eingemietet.

 

In Kürze werde endlich die Renovierung des prächtigen Ballraums abgeschlossen. Jo: "Eine super Location für Hochzeiten und Familienfeiern, denn da liegt das Geld, das wir langfristig brauchen. Wir arbeiten daran, auch freie Trauungen anbieten zu können. Dann kann die Gesellschaft unten im prachtvollen Foyer empfangen werden, bevor in einem der kleineren Räume getraut und dann hier oben getanzt wird." Weiterhin spielen Filmvorführungen und kleine Konzerte etwas Geld in die Kasse, während gemeinwohlorientierte Initiativen die Räume kostenfrei nutzen: "Zum Beispiel trifft sich hier eine Läufer*innengruppe als Selbsthilfegruppe mit psychischen Problemen. Sie schließen ihre Sachen ein, laufen ihre Runden und treffen sich hier dann auf einen Kaffee." 

 

Jo stammt aus Malta, hat ihre Dissertation über Community-Building in Malta geschrieben ("früher war Gemeinwohl hier kein Thema, erst seit dem Status als europäische Kulturhauptstadt kommt Bewegung ins Land und kulturelle Projekte werden gefördert") und ein Erasmus-Semester in Manchester gemacht, wollte dann unbedingt dauerhaft in der Stadt bleiben. Welche Probleme bringt das Projekt mit sich? "Viele unplanbare. Beispielsweise hatten wir mit Vandalismus zu kämpfen - im Außenbereich waren Dachrinnen verschwunden, das war teuer und hat den Finanzplan durcheinander gewirbelt. Und wenn mal wieder der Wasser-Boiler ausfällt, braucht es einfach immer Leute, die sich kümmern."

 

Außerdem komme es mitunter zu Situationen, in denen Fingerspitzengefühl gefragt ist. "Vor wenigen Wochen kam es einige Straßen weiter zu einem Messerangriff. Kurz darauf klopfte eine aufgebrachte Frau hier an die Tür und wollte sich zu dem Vorfall äußern - manche verstehen noch nicht, dass hier keine Verwaltung mehr ansässig ist, zumal ja draußen am Gebäude Town Hall steht." Ein ewiges Streitthema außerdem: Parkraum. Die Town Hall hat zwar einen Parkplatz und ist optimal in das ÖPNV-Netz der Stadt eingebettet, aber während Veranstaltungen  wird trotzdem manchmal wild geparkt - hiergegen können die Betreiber*innen nur wenig tun. Jo: "Außerdem spricht das nicht gegen unsere Nutzungsvariante. Wer weiß, was kommerzielle Betreiber*innen hier realisiert hätten." 

 

Wie misst Jo die Erfolge? "Wir haben uns zu einem Ort für alle Generationen entwickelt. Laut Statistik liegt das Alter der meisten Besucher*innen bei Filmen und Konzerten bei 30-40 Jahre, viele bringen ihre Kinder mit. Daneben haben wir auch viele Veranstaltungen wie Kunstaktionen, die sich explizit an Kinder richten, während Veranstaltungen wie die Yoga-Klasse donnerstags am Vormittag überwiegend von Senior*innen besucht wird. Letztere bilden auch den Stamm unserer Freiwilligenarbeit. Ohne den Kreis von über 40 Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, würde wenig funktionieren. Wir haben ausgerechnet, dass im vergangenen Jahr hier 2000 Stunden Freiwilligenarbeit erbracht wurden. Ei Senior kommt zum Beispiel einmal pro Woche, immer für ein paar Stunden, und sucht sich als Handwerker selbst seine Aufgabe. Eine Frau aus der Nachbarschaft hat die Blumen vor dem Eingangsportal geplant und kümmert sich selbstständig um deren Pflege." Darüber hinaus haben mittlerweile 800 Menschen einen Anteil gezeichnet - möglich ist das schon ab 10 Pfund - um als Mitglieder die Zukunft des Gebäudes zu gestalten. 

Ein letzter Rat für gemeinnützige Initiativen, die ebenfalls mit dem Gedanken spielen, ein ähnliches Projekt auf die Beine zu stellen? "Alles hängt vom ersten Kreis ab. Ihr braucht Leute mit verschiedenen Fähigkeiten. Finanzen, Marketing, Organisationstalent und, ganz wichtig, Handwerk. Ohne Handwerker*innen im Team wäre es nicht gegangen. Alle müssen brennen für das Vorhaben und bereit sein, viel unbezahlte Arbeit reinzustecken, sonst wird es leider schwierig. Und gewöhnt euch direkt an den Gedanken, dass es Zeit braucht, Jahre, bis die Dinge funktionieren. Das ist oft frustrierend, aber im Ergebnis alle Mühe wert." Abschließend betont Jo: "Das Projekt muss von unten kommen und wachsen. Von oben verordnen sich so ein Ort meiner Meinung nach nicht."